Unlängst wurde ich gefragt, wo es denn ausser der Kirche Wang im Riesengebirge und in Stiege (Oberharz) noch Holzkirchen nach norwegischem Vorbild gibt. Die Antwort ist einfach für uns: vor unserer Haustür auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof. Der Südwestkirchhof Stahnsdorf, der ja eigentlich ein Berliner Friedhof ist, gehört neben Venedigs Toteninsel San Michele, dem Wiener Zentralfriedhof und Père Lachaise in Paris zweifellos zu den herausragenden internationalen Begräbnisstätten. Und dort steht eine der berühmtesten Holzkirchen nach norwegischem Vorbild.

Stahnsdorfer Südwestkirchhof Kirche klein

Erbauer der 1909 eingeweihten Holzkirche auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof ist  der Königliche Baurat Gustav Werner. Er schuf sie nach dem Vorbild der norwegischen Stabkirchen, von denen sie sich jedoch wesentlich unterscheidet. Die Friedhofskapelle wurde im Gegensatz zu den nordischen Kapellen nicht in senkrechter Stabbauweise, sondern in waagerechter Blockbauweise errichtet. Darüber informiert der von Olaf Ihlefeld geleitete Förderverein auf seiner Homepage.

Einzigartige Holzkirche im norwegischen Stil

Wolfgang Gottschalk schreibt in seinem Buch über den Südwestfriedhof Stahnsdorf u.a.: „Besonders harmonisch fügt sich in das Friedhofsbild die große Holzkapelle ein, 1908 – 1911 durch Gustav Werner nach dem Vorbild mittelalterlicher norwegischer Stabkirchen – vor allem der Kirche Wang im Riesengebirge – erbaut. Sie besitzt ein elektrischen, von der Firma Schilling in Apolda gegossenes Dreiklanggeläut und eine wertvolle, von der Werkstatt Sauer in Frankfurt/Oder gebaute Orgel mit zwei Manualen und 19 Registern. Die Innenausstattung der Erbauungszeit ist noch original erhalten: die sparsam bemalte Holztäfelung, die rechteckig abgesetzte, erhöhte Altarapsis, die Orgelempore, das Gestühl und die von der Werkstatt Carl Busch, Schöneberg, angefertigten farbigen Glasfenster mit Jugendstilornamenten. Die dreischiffig angelegte Aussegnungshalle kann bei Trauerfeiern 250 Personen Sitz und 100 Stehplätze bieten.“

Stahnsdorfer Südwestkirchhof Blick in die Kapelle Foto: Weirauch

Blick in die Kapelle Foto: Weirauch

An diesen Hauptbau schließt sich seitlich eine kleinere, 1912 errichtete Holzkapelle mit farbig ausgemaltem Tonnengewölbe an, die früher bei Bestattungsfeierlichkeiten mit weniger als 50 Gästen genutzt werde.

Blick in das Innere der kleinen Trauerkapelle ©Weirauch

Das Innere der Trauerkapelle ©Weirauch

Die Gesamtkosten für die zu einer Baugruppe vereinigten Kapellenräume, einschließlich der technischen Anlagen im Leichenkeller unter dem Hauptgebäude, beliefen sich auf rund 190.000 Mark. Gustav Werner (1859-1917) ruht gegenüber seinem Bauwerk, am Kapellenvorplatz, unter einer schlichten Grabplatte.

Buchtipp: Wolfgang Gottschalk, Südwestfriedhof Stahnsdorf, Nishen-Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-88940-058-2

Peter Hahn (Hg.), Südwestkirchhof Stahnsdorf, Lexikon, Lesebuch, Parkführer, Oase-Verlag, schreibt u.a. „Gustav Werner mag sich an den nordischen Vorlagen orientiert haben, gebaut aber hat er letztendlich keine Stab-, sondern eine Holzkirche, deren ästhetischer Reiz sich heute aus der (damals durchaus üblichen) Stilmischung von Romantik, Heimatkunst und Art Nouveau und ihrer geradezu idealen Lage am Ende einer Sichtachse erschließt.“

Hahn führt weiter aus: „Werner dürfte sich vor allem daran erinnert haben, daß Stabkirchen in der Regel im Baukastensystem erstellt wurden. Da Zeit und Geld knapp waren, liegt die Vermutung nahe, daß Teile der Kirche vorgefertigt worden sind, um die Bauzeit vor Ort wesentlich zu verringern. Bemerkenswert ist allerdings Werners Holzauswahl: Durchweg, ob für gebogene oder gerade Holzbauteile, wurden Hölzer ausgesucht, die gewährleisten, daß der Faserverlauf der Form des Werkstückes folgt. Zudem sprechen die engen Jahrringe für langsam gewachsenes Holz mit überdurchschnittlich guter Festigkeit, einer Eigenschaft, die bei der in jüngster Zeit vorgenommenen Erneuerung des Glockenturms (aus Kostengründen) leider nicht berücksichtigt wurde.“

Eigenwillige Schönheit im Innern

Weiter schreibt Peter Hahn: „Die Innenausstattung folgt im Grunde genommen den Gesetzen der Statik: ein einfacher und verhältnismäßig kleiner Bau mit Schiff und einer rechteckig abgesetzten erhöhten Altarapsis. Durch das konstruktive System, auch die serielle Anordnung von Säulen, Knaggen und Kreuzen, das eng mit den Eigenschaften von Holz verknüpft ist, entsteht eine eigenwillige Schönheit – zu der sicher auch die Holzschnitzarbeiten und Holzbemalungen zu zählen sind.“

Der Altar in der Holzkirche von Stahnsdorf Foto: Weirauch

Der Altar in Stahnsdorf  Foto: Weirauch

Holzkirchen sind in der Regel dunkel: Das wenige Licht kommt aus den farbigen Glasfenstern mit Jugendstilelementen, die in der Schöneberger Werkstatt von Carl Busch angefertigt wurden. Wikipedia zu Carl Busch: „Es gibt in Berlin und Umgebung nur wenige Kirchen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die nicht mit Glasfenstern von Busch geschmückt wurden, so in Berlin St. Marien, Corpus-Christi-Kirche, Michaelkirche. Auch in Profanbauten ist er vertreten, so im Rathaus Zehlendorf, im Rathaus Prenzlau, dessen Fenster er mit den Wappen der Bürgermeister und Geschlechter schmückte.“ Trotz der großen Zahl seiner Werke wurden diese nie zur Massenware. „Die feierliche Monumentalität, das vornehmste Ziel der Glasmalerei, wusste er unter richtiger Verwendung … von Glas und Blei und unter Ausnutzung des geheimnisvollen Spiels des Lichtes zu erreichen“ (Z. im Nachruf 1948). Die Innenausstattung stammt in wesentlichen Teilen noch aus den Erbauungszeit: die Holztäfelung, das Gestühl mit 250 Plätzen, die Orgel mit zwei Manualen und 19 Registern, die von der berühmten Firma Sauer in Frankfurt/Oder gebaut wurde. Im Glockenturm an der Ostseite ist ein elektrisches, von der Firma Schilling in Apolda gegossenes Dreiklanggeläut untergebracht.

Buchtipp: Peter Hahn (Hg.), Südwestkirchhof Stahnsdorf, Lexikon, Lesebuch, Parkführer, Oase-Verlag, Badenweiler 2003, ISBN 3-88922-057-6.

Stahnsdorfer Südwestkirchhof

Friedhofsverwalter Ihlefeld vor dem Grab Heinrich Zille, Foto: Weirauch

Im Untergeschoss der großen Kapelle ist nicht nur eine Heizanlage untergebracht, sondern auch ein mit Frischluft gekühlter Leichenkeller. Über eine „Leichenfahrstuhl“ genannte Aufzugseinrichtung gelangten die Verstorbenen direkt in den Kapellenraum. Warteräume für Angehörige ermöglichten eine reibungslose und schnelle Abwicklung der Trauerzeremonien. Links vom Eingang und damit gegenüber der Wartehalle befindet sich der Raum des Kirchhofsinspektors. Der Förderverein des Südwestkirchhofes schreibt auf seiner Homepage u.a. „Das Stilempfinden der Wilhelminischen Ära lebt in der Kapelle noch heute, wertvolle Details wie die geschnitzten Engelsköpfe, auf denen die Pfeilerkapitelle ruhen oder die verschiedenen Blumenrosetten an den Wangen des Gestühls warten darauf, vom Besucher entdeckt zu werden.“

Hier geht es zur Homepage des Friedhofs-Förderverein.

Friedhofskapelle auf Stahnsdorfer Südwestkirchhof, Foto: Olaf Ihlefeld/Förderverein SWK

Friedhofskapelle im Lichte eines Kulturevents, Foto: Olaf Ihlefeld/Förderverein SWK

Stabkirchen nach norwegischem Vorbild

Wir kennen neben der Kirche auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof nur zwei: Die Gustav-Adolf-Stabkirche in Hahnenklee (einem Ortsteil von Goslar im Harz). Dieses Bauwerk wurde nach dem Vorbild der Stabkircheim norwegischen Borgund im Jahr 1907 errichtet.

Stabkirche Stiege

Im Selketal (Ostharz) steht nahe der Ortschaft Stiege auf dem Gelände des ehemaligen Sanatoriums Albrechtshaus eine kleine sogenannte Stabkirche. Sie wurde 1905 geweiht. Vorbild für die heute unter Denkmalschutz stehende Kirche war die Kirche von Wang im Riesengebirge. Die Holzkirche in Stiege soll noch 2020 in den Ortskern von Stiege versetzt werden. Dafür engagiert sich ein Förderverein.  2021, so hofft der Förderverein, soll das wunder vollbracht sein. Unter anderem unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Translozierung/Umsetzung des Bauwerkes. Hier geht es zur Seite des Fördervereins der Stabkirche von Stiege im Oberharz.

Einfachraus.eu wird demnächst Stiege und die kleine Kapelle im Oberharz besuchen.

Holzkapelle in Leegebruch/Oberhavel

Auch in Leegebruch bei Oranienburg entdeckten wir (Dank an Liane Protzmann und Hajo Eckert) eine Holzkapelle. Zwar nicht nach norwegischem Vorbild, aber auch sehenswert. Die 1930 eingeweihte Kapelle wurde im expressionistischen Stil in Holzbauweise mit umlaufender Pergola errichtet. Der Bau der Kapelle geht auf den Bauunternehmer Heinrich Mendelssohn zurück. Er  stiftete der armen Gemeinde das Geld zur Errichtung eines Bethauses.

Holzkirche in Leegebruch Foto: Weirauch

Holzkirche in Leegebruch Foto: Weirauch

Die Kapelle diente bis 1975 als Sakralbau, heute dient sie das unter Denkmalschutz stehende Gebäude als  Veranstaltungsraum. Informationen zu Leegebruch erhaltet ihr hier im informativen Leegbruch-Journal.

die Holzkirche Wang im Riesengebirge

Kirche Wang im Riesengebirge Foto: Weirauch

darüber lest ihr hier demnächst mehr auf einfachraus.eu

Hier geht es zu weiteren Beiträgen über den Stahnsdorfer Südwestkirchhof.